Der Wohnberechtigungsschein WBS soll Berlinern in Not bei der Suche helfen. Anne Sens erlebt das seit zwei Jahren anders. Berlin und die Wohnungsnot – unsere Serie.
Es ist ein milder Spätsommertag Anfang September. Sens sitzt auf einer Bank auf dem St.-Petri-Luisenstadt-Friedhof in Friedrichshain. Durch die Roteichen rauscht der Wind, ein Eichhörnchen hüpft von Ast zu Ast. Sens kommt fast jeden Tag hierher. Spazierengehen ist zu ihrem Ritual geworden, seit sie vor 14 Jahren ihre erste Brustkrebsdiagnose bekam. Da war sie 29.
Sens wuchs in einem Neubauviertel von Marzahn auf, in einer fünfköpfigen Familie. In Marzahn lag auch ihre erste eigene Wohnung, die sie mit 21 mit ihrem Freund bezog. Schon diese Wohnung sei ein Glücksgriff gewesen, vierter Stock mit einem wunderbaren Blick auf die Gärten der Welt. „Viel schöner konnte man in Marzahn nicht wohnen“, sagt sie.
Nach der Behandlung kann sie nur noch in Teilzeit arbeiten. Das Jahr hat Spuren hinterlassen: Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, kämpft mit permanenter Angst. „So eine Krankheit bedeutet einen absoluten Vertrauensverlust in den eigenen Körper.“ Bis heute hat sie Albträume, in denen sie vor Raubtieren wegrennt. Meist ist es ein Tiger. Am Ende entkommt sie knapp.
Nach der zweiten Erkrankung kann Anne Sens nicht mehr arbeiten. Sie kann sich nur noch schlecht konzentrieren, manchmal findet sie die richtigen Worte nicht. Nebenwirkungen der Chemotherapie. Sie muss sich frühberenten lassen, mit 40. Sie beschließt: Ich brauche eine Wohnung, die vor Mieterhöhungen und Eigenbedarfskündigung geschützt ist. „Erst da ist mir klar geworden, was auf dem Wohnungsmarkt eigentlich los ist“, sagt sie. Alle Angebote, die sie sieht, sind viel zu teuer. Sie beantragt beim Wohnungsamt den WBS. Damit darf sie sich nun um eine Ein-Zimmer-Wohnung mit maximal 50 Quadratmetern bemühen. Mit jedem weiteren einziehenden Angehörigen hat man Anrecht auf ein Zimmer mehr.
Wir treffen Menschen, die mit oder ohne WBS suchen, die ins Umland fliehen, weil sie in Berlin nichts finden, oder die mit der Familie in zu kleinen Wohnungen ausharren. Und lassen die Glücklichen erzählen, die eine neue Wohnung aufgetan haben: Welche Tipps und Tricks haben wirklich [email protected]