Bolsonaro oder Lula? Rechtsextremer Waffennarr oder nostalgischer Ex-Gewerkschafter? Die Stichwahl zeigt: Brasilien steckt in der Sinnkrise.
Präsidentschaft in Brasilien:Zwei Welten gehen wählen Für Rubens Horst Liesenberg ist die Sache klar: Wenn die Linke zurückkommt, geht alles bergab. Dann werden Kirchen geschlossen, Drogen legalisiert, Abtreibungen erlaubt. Er zupft die Hosenträger seiner Lederhose zurecht, nimmt einen großen Schluck Bier und sagt: „Lula will den Kommunismus in Brasilien einführen.
Recherchefonds Ausland e.V.Dieser Artikel wurde möglich durch die finanzielle Unterstützung des Recherchefonds Ausland e.V. Sie können den Recherchefonds durch eine Spende oder Mitgliedschaft fördern.Nun findet an diesem Sonntag die Stichwahl um das brasilianische Präsidentenamt statt. Jair Messias Bolsonaro gegen Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Amtsinhaber gegen Ex-Präsident. Rechtsradikaler gegen Sozialdemokrat.
Einiges deutet darauf hin, dass sein Konkurrent Lula die anstehende Stichwahl gewinnen wird. In der ersten Wahlrunde lag er 6 Millionen Stimmen vor Bolsonaro. Doch der Rechtsaußen schnitt besser ab, als alle Demoskopen prognostiziert hatten. Wenn man auf die Karte dieses gigantischen Landes schaut, wird dennoch klar: Bolsonaro ist in den weißeren und reicheren Regionen überdurchschnittlich stark. Also in Städten wie Blumenau. In der ersten Wahlrunde stimmten dort 66,74 Prozent für Bolsonaro, nur 22,76 Prozent für Lula. Dass diese Region traditionell rechts wählt, hat auch mit ihrer Geschichte zu tun.Am 22.
Wie Liesenberg informieren sich viele Brasilianer ausschließlich über Messengerdienste. In kaum einem Land ist es gelungen, die Internetaffinität der Bevölkerung so geschickt für politische Zwecke zu missbrauchen wie in Brasilien. Das liegt auch an den Logiken der sozialen Medien: In den viel zitierten Filterblasen werden die Benutzer in ihren Ansichten bestärkt, können sich als Teil einer gigantischen Gemeinschaft fühlen, belohnt durch Likes und Shares.
Im „Texas von Brasilien“ ballert man gern herum Am Stadtrand Blumenaus führt ein Kopfsteinpflasterweg einen Hang hinauf. Schon von Weitem ist die riesige Brasilienfahne zu sehen, die an der Fassade eines weißen, kastenförmigen Gebäudes hängt. Darunter ein Schriftzug: „Jagd- und Schießklub Concórdia“. Vor 105 Jahren gründete ein Deutscher den Verein. Heute wird er von Moisés Lazzari geführt.
Lazzari sieht die Sache anders: „In den allermeisten Fällen werden Waffen für etwas Gutes verwendet.“ Mit einem Finger drückt er auf einen Sensor, eine Tür öffnet sich. Ein kahler Gang. Dann noch eine Tür. Dahinter steht ein Mann mit Schutzbrille und Lärmschutzkopfhörer an einem Schießstand. Bum, bum, bum.
Dort blieb Bolsonaro zunächst lange Zeit farblos. Er war als Interessenvertreter des Militärs und der Waffenlobby aktiv. 2015 kam er als Parlamentsabgeordneter nach Blumenau, und Moisés Lazzari hatte die Möglichkeit, ihn persönlich kennenzulernen. Er finde nicht alles gut, was Bolsonaro sagt, meint Lazzari. Und: Ja, manchmal vergreife sich der Mann im Ton. „Aber den einzigen perfekten Menschen haben wir ans Kreuz genagelt.
Eigentlich stand das Geburtshaus des berühmt gewordenen Dorfbewohners ein paar Meter weiter oben. Doch das Land wurde verkauft. Deshalb ließ Santos einen originalgetreuen Nachbau der Hütte hier aufbauen. Es war ihm wichtig, denn der große Lula ist sein Cousin. Anfang der 1980er Jahre gründete Lula mit einigen Mitstreitern eine Partei, die Brasilien nachhaltig verändern sollte: die Partido dos Trabalhadores, die Arbeiterpartei. In den dunklen Jahren der Militärdiktatur war sie ein Sammelbecken für oppositionelle Gewerkschaftler, sozialistische Katholiken und soziale Bewegungen, und Lula wurde ihr bekanntestes Gesicht.
Besonders im Nordosten gilt er noch immer als Lichtgestalt. Am Stadtrand von Garanhuns lebt Rosângela da Silva mit ihren Töchtern und Enkeln. Die hiesigen Häuser wurden während der Regierungszeit der PT gebaut. Lulão, großer Lula, nennen sie die Siedlung liebevoll. Silva ist 59, hat lange graue Haare und ist so klein, dass ihre Füße nicht den Boden berühren, als sie sich auf die Couch setzt.
Ein Korruptionsskandal machte alles zunichte Nicht nur der weltweite Boom der nuller Jahre war geendet, in Brasilien kam zudem ein gigantisches Korruptionsnetz ans Licht – und damit schlitterte das Land ab 2013 immer weiter in den Krisenmodus. Die größten Baufirmen Brasiliens hatten ein Kartell gebildet, das seit vielen Jahren Aufträge des halbstaatlichen Petrobras-Konzerns unter sich aufteilte und zu überhöhten Preisen durchführte.
Auf diese Art wurde der Weg frei für Bolsonaro. Den „Star-Richter“ Sérgio Moro machte er später zum Justizminister. Es war der perfekte Coup – zumindest beinahe. Denn Brasiliens serienreife Geschichte nahm weitere Volten: 2019 kam Lula aus der Haft frei, und im März 2021 wurden alle Urteile gegen ihn annulliert. Mittlerweile hegte nämlich auch der Oberste Gerichtshof Zweifel an der Unparteilichkeit von Richter Moro.
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