Unser Kollege Martin Reichert ist tot. Wir trauern um einen sensiblen, intelligenten Menschen, dessen Licht viel heller strahlte, als er selbst es wusste.
Niemals kennt man einen Menschen ganz. Immer bleiben Winkel, Ecken oder weitläufige Unterkellerungen, die sich unserem Blick entziehen. Oft ist das ein Segen. Manchmal, eher selten, ein Fluch. Wenn in diesem Winkel eine Dunkelheit keimt, die den Menschen verschlingt. Ganz.
Mir ist Martin erstmals 2004 begegnet, schriftlich. In einer Kolumne für die »taz« schrieb er über die damalige Mode der pelzumkränzten Anorak-Kapuze. Schrieb eine kleine Kulturgeschichte der Kapuze, von den Inuit bis zum Hipster, und würdigte mit humorgedämpfter Boshaftigkeit den »angenehmen sozialen Scheuklappeneffekt« dieses modischen Details: »Man sieht links und rechts kein Elend und hat immer ein Ziel vor Augen.
Noch einmal gemeinsam mit den Eltern den steilen Weg gehen durch die mit Schieferbruch bedeckten Weinberge im goldenen Oktoberlicht. Die Knie. Die Hüften. Das Herz. Der schöne Blick auf das Moseltal und dort hinten, die alte Burg. Noch einmal baden gehen im abgekühlten Wasser des Golfes von Triest, bevor es nach Hause geht, zurück nach Deutschland. Noch einmal zwischen den Felsen balancieren, noch einmal Meerwasser schlucken und zuhören, wie die Wellen an den Strand schlagen und die Steine zu Murmeln werden lassen, die sich nass aneinander reiben, ein Kieselklang. Noch einmal aus dem Wasser steigen und sich in ein Handtuch wickeln und hinausschauen auf die Bucht, wo die Frachter auf Reede liegen.
Noch einmal zusammen Blumen kaufen und mit Kräutern eingelegte Oliven und zu dem Stand gehen mit dem frisch gepressten, süßsauren Orangensaft, »ich lade dich ein«. Und: »Lass uns in Verbindung bleiben, ja?«
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